Alle werden Journalisten
oder: Inhalte vom “Tag des Wirtschaftsjournalismus”, Teil 2
Ein bisschen konkreter als Andreas Weigend wurde dann im zweiten Vortrag Dan Gillmor, Direktor des „Center for Citizen Media“ in Berkeley. Seine Überschrift – „Web 2.0 – die neuen Herausforderungen für den Journalismus“ – ergänzte er mit dem Slogan:
„Von der Vorlesung zur Konversation“
und gliederte den Vortrag in fünf Punkte.
1: Die Veränderung der Medien
Seiner Meinung nach hat es einen „media shift“ durch das Internet und das Web 2.0 gegeben, eine „Demokratisierung der Medien“. Jeder kann nun Medieninhalte produzieren, aber, was möglicherweise noch wichtiger ist, auch der Zugang zu produzierten Inhalten hat sich verändert. Statt dem bisherigen „push“ – die Zeitung recherchiert, schreibt, druckt und liefert an den Leser – suchen sich die Leute nun selbst die Informationen zusammen, die sie interessieren.
Zugleich würden nicht nur die Konsumenten zu Produzenten, sondern zunehmend die Produzenten zu Sammlern von Informationen. Einige Beispiele, die Gillmor vorführte, waren die Abu-Ghraib-Fotos, das Touristenvideo vom Tsunami oder auch eine Karte der tunesischen Gefängnisse, die die Regierung gerne geheim halten würde, die aber Bürger mit Hilfe von Googlemaps ins Netz gestellt haben.
2: Wer ist eigentlich ein Journalist?
Diese häufig gestellte Frage sollte eigentlich besser lauten, „Was ist Journalismus?“, so Gillmor. Eine Erkenntnis: Die „Newsmakers“ wie Firmen oder Politiker wenden sich immer stärker direkt an ihr Publikum, ohne den Umweg über die Medien – was früher nicht möglich gewesen wäre. Und eine weitere Erkenntnis: Es gelte die Regel, dass es immer schwieriger werde, Geheimnisse zu bewahren. Dafür seien die Abu-Ghraib-Fotos nur das prominenteste Beispiel.
3: Neue Herausforderer
In den USA gingen die Aktienkurse von Medienkonzernen, die Zeitungen herausgeben, zuletzt deutlich nach unten, ebenso wie die Auflage und die Werbeeinnahmen. Ein Grund dafür sei, dass die anderen einen „besseren Job machen“ würden. So hätte das Internetangebot Craigslist in den USA den Markt für Kleinanzeigen aufgemischt, weil es mehr Möglichkeiten als die traditionelle Print-Anzeige biete und weitgehend kostenlos sei. Gillmor meint, die traditionellen Medien hätten die Chance gehabt, selbst solche Angebote zu machen, die Chance hätten sie aber verschlafen.
Inzwischen gebe es auch erste sichtbare Geschäftsmodelle, nicht zuletzt dank Online-Werbung wie von Google. Bei „micro publishing“ könnten geringe Geldbeträge von Lesern eingesammelt werden, Zeitungen wie „Ohmynews“ würden 40.000 Leserreporter über das ganze Land verstreut beschäftigen und „The Huffington Post“ würde als Gruppen-Blog inzwischen aufregende Geschichten enthüllen, die dann von den traditionellen Medien übernommen und weiter verbreitet werden.
4: Am Gespräch teilnehmen
Gillmors flammender Appell an die Journalisten: In den Veränderungen nicht eine Gefahr sehen, sondern eine Chance. Die professionellen Journalisten könnten und müssten sich beteiligen und am Gespräch (im Netz) teilnehmen.
Ein „fundamentaler Unterschied“ zu früher sei, dass die Leser reagieren könnten und dabei herauskommt, dass sie mehr von der Sache, über die man schreibt, wissen, als man selbst. Aber das sei letztlich gut, um bessere Texte zu schreiben und dazu zu lernen, eben eine Chance.
Die neue „erste Regel für Journalisten“ sei daher: Zuhören. Und Gillmor meint, darin seien wir eigentlich nicht besonders gut. „We love the readers“, so Gillmor, „but we are suspicious of the reader“. Man mag die Leser als Masse, aber den einzelnen Leser hielten viele eher für einen lästigen Störenfried, wenn er mit einem selbst kommunizieren wolle. Das müsse sich ändern.
Was genau könnten Journalisten tun? Auch dafür hatte Gillmor ein paar Anregungen dabei:
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Zusammengelegte Newsrooms schaffen, die Trennung von Online und Print, aber auch Radio und TV abschaffen.
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Journalisten sollten Mitarbeiter-Blogs führen, und so mit den Lesern kommunizieren und sich auch am Gespräch des Web 2.0-Internets beteiligen.
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Eine weitere Möglichkeit sei „database journalism“. So hätte eine US-Zeitung aus den vorhandenen Informationen eine Datenbank über jeden einzelnen im Irak getöteten US-Soldaten angelegt, würde so praktisch über jeden eine Geschichte erzählen. Eine andere wertet offizielle Daten aus um den Lesern eine Karte zeigen zu können, die angibt wo das Geld in der Kommune (geographisch) ausgegeben wird.
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Das Web 2.0 biete dabei die Möglichkeit, Angebote die vorhanden sind, neu zusammenzusetzen („Mashups“). So habe einer seiner Studenten mit Hilfe von Googlemaps eine Karte aufgebaut, die alle Bombenanschläge im Irak geographisch einordnet; etwas, das auf vorhandenem Material aufbaut, aber sonst niemand getan habe. Oder ein anderer nutzt die selbe Methode um zu zeigen, wo Häuser unter dem angesetzten Wert verkauft wurden – ein Hinweis auf eine mögliche Spekulationsblase. Und schließlich kursiert im Internet ein Video, das Bush und Blair mit Musik hinterlegt zeigt und als ironischer Kommentar auf den Irak-Krieg zu werten ist, zusammengesetzt aus publiziertem Material.
Journalisten sollten im Netz ihre Leser auffordern, ihnen bei Recherchen zu helfen, ihr früheres Publikum wirklich beteiligen. Bei Katastrophen – etwa dem Tsunami oder den Bombenanschlägen in der Londoner U-Bahn – werde das mit Leserfotos und Leservideos bereits gemacht, aber das könne nur ein Anfang sein.
Die Zeiten, so Gillmor, in denen Journalisten Orakel gewesen seien, sei vorbei, Journalisten seien nur noch Reiseführer („Guides“). Seine Empfehlung: Die Leser auch auf andere Seiten schicken, die das, was man sagen will, am besten darstellen. Wenn der Leser sich durch diese Hin- und Verweise gut informiert fühle, komme er auch immer wieder von den fremden Seiten zurück. Gillmor brachte ein Beispiel einer schwedischen Zeitung, die ständig die wichtigsten schwedischen Blogs zeigt und keine Probleme habe, auch das Blog eines Redakteurs einer Konkurrenzzeitung ganz nach oben zu setzen.
5: Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit
Anders als früher sei nicht mehr die Information selbst Mangelware, im Gegenteil: Es gebe bereits zu viele Informationen. An Bedeutung gewinne deshalb, wem man Vertrauen könne. Neben den grundsätzlichen Prinzipien des Journalismus komme der Transparenz daher eine immer größere Bedeutung zu, damit der Leser sich ein Urteil über die Qualität der Information machen könne.
Bei anderen Angeboten com stimmen die Leute darüber ab, was wichtige Geschichten sind. Allerdings sei Popularität, also die Menge an Stimmen, nicht genug, es gehe auch darum, wer etwas als wichtig und gut bewertet. Deshalb werde bei solchen Seiten daran gearbeitet, auch die Reputation des Abstimmenden mit zu berücksichtigen, also ob jemand als vertrauenswürdig oder als Experte gilt, oder eben als Störenfried und Querulant.
Nach Ansicht von Gillmor wird das ganze sicher „nicht einfach“. Für Journalisten stünden heute die Chance, eine Karriere bei der New York Times zu machen eher schlechter als früher; die Chancen für die Journalisten selbst seien aber riesig. Wer selbst im Internet publiziere und dort Projekte starte, habe nur sehr, sehr geringe Startkosten. Es gebe bereits Beispiele von Journalisten, die ihren eigentlichen Job an den Nagel gehängt hätten, und sich stattdessen im Web selbstständig gemacht hätten. Ergo: Die Chancen nutzen und sich nicht fürchten.