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== Andreas Streim ==
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Das Überregionale ist regional

Der Madsack-Konzern, zu dem unter anderem die “Märkische Allgemeine” gehört, plant die Einführung einer Zentralredaktion für die überregionale Berichterstattung seiner inzwischen 18 Titel (Meedia-Artikel dazu, Orginal-Presseinfo). Das klingt zunächst vernünftig, wenn man die Welt in überregionale, regionale und lokale Berichterstattung einteilt. Warum sollten in Hannover, Rostock, Leipzig und Potsdam nicht die selben Texte über internationale und nationale Ereignisse stehen?

Madsack plant eine Zentralredaktion

Als frührer Redakteur der Regionalzeitung, als sie noch mit Vollredaktion als FAZ-Tochter über das Geschehen berichtete, habe ich da aber doch ein paar Zweifel. Was vor allem unterdem Blick eines Controllers logisch erscheint, dürfte in der Realität auch die Qualität der regionalen Berichterstattung vor ganz neue Probleme stellen. Ein Thema, das der DJV, der sich um die Medienvielfalt sorgt (die wiederum den einzelnen Leser eher weniger interessiert), nicht anspricht. Was hat das mit der regionalen Berichterstattung zu tun?

  1. Gute überregionale Berichterstattung ist regional - in der Themenauswahl und in der Aufbereitung.

  2. Regionale Berichterstattung lebt vom überregionalen Input.

  3. Regionale Aufbereitung braucht das überregionale Know-how

Nehmen wir an, es gibt eine Nachricht über ein neues Sanierungskonzept eines Autobauers, der seinen Stammsitz in Süddeutschland hat. Jetzt kann ein Text dazu in Hannover, Rostock, Leipzig und Potsdam völlig identisch zentral recherchiert und geschrieben werden. Aber schon die Frage, ob die Meldung überhaupt ein Thema für den jeweiligen Zeitungstitel ist und wenn ja, in welchem Umfang, ist eine Entscheidung, die sich ohne regionale Kompetenz kaum richtig beantworten lässt. So ist zum Beispiel in Brandenburg eine Nachricht, die Daimler betrifft, angesicht eines großen Werkes im Land mit vielen Beschäftigten von ungleich größerer Bedeutung als eine ähnliche aus dem Hause BMW. Und in Leipzig verhält es sich genau umgekehrt. Und in Rostock? Ist beides vermutlich eher eine Kurzmeldung wert. Das heißt, wenn die Qualität bei der Nachrichtenauswahl gleich bleiben soll, dann muss es in der Zentralredaktion regionale Kompetenz geben - was zumindest auf Dauer schwer vorstellbar ist. Und von den Zeitungstiteln vor Ort ist auf Dauer dabei auch wenig Hilfe zu erwarten, da es, wenn es dort niemanden mehr gibt, der sich um diese überregionalen Themen kümmert, auch einen gewissen Braindrain geben wird.

Aber nicht nur bei der Themenauswahl des Überregionalen spielt das Regionale eine große Rolle, auch bei der Aufbereitung des Textes selbst. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Ein Statement des brandenburgischen Betriebsrsrats gehört natürlich in die überregionale Geschichte für Potsdam, in Leipzig interessiert sich dafür vermutlich niemand, wenn die Aussage nicht ein bestimmtes Gewicht hat.

Das gilt in ähnlicher Weise auch bei ganz anderen Themen. Beim Parteitag einer großen Partei legen manche Titel beim Thema Angleichung der Ost-Renten sicher andere Schwerpunkte als andere - wie soll der Text also aufgebaut werden? Weiß der Schreiber, weiß der Zentralredakteur, wo im (Bundes)Land bei dem Thema gerade die Fronten verlaufen und welche Brisanz ein Beschluss deshalb hat? In manchen Regionen interessiert was in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion vor sich geht viele Leute mehr als etwa französische Innenpolitik.

Aber auch rein regionale Geschichten können aus überregionalen Nachrichten entstehen (und tun es oft). Kurzmeldungen der Nachrichtenagenturen oder Pressemitteilungen von Unternehmen mit ihrem Sitz weit außerhalb der Redaktion können in der Redaktion vor Ort dazu führen, dass ein Redakteur, der weiß, dass das Unternehmen im eigenen Beritt Niederlassungen hat und Leute beschäftigt, die Recherche aufnimmt. Gerade bei Nachrichten, die überregional bei der Nachrichtenauswahl keine Rolle spielen, ist dies gut möglich. In einer Zentralredaktion besteht eine gute Chance, dass dort überhaupt niemand weiß, in welchen Verbreitungsgebiet welches Unternehmen mit welcher Bedeutung was tut. Selbst in Brandenburg dauert es sicher ein, zwei Jahre bis ein Redakteur sich in die Wirtschaft des Landes eingearbeitet hat.

Widerspruch! Werden da Befürworter von zentralen Arbeitsabläufe sagen. Überregionale Texte können ja zentral geschrieben und dann vor Ort mit regionalen Stimmen angereichert werden. Das klingt gut, aber ein Teil des Vorteils der zentralen Produktion ist damit schon einmal hinfällig. Und es kommt noch schlimmer: Um vor Ort sinnvoll zu recherchieren, muss ein Journalist die Faktenlage kennen. Überspitzt gesagt: Er muss das überregionale Thema eigentlich selbst durchdrungen haben, um seinen Gesprächspartnern vor Ort die richtigen Fragen zu stellen bzw. sich nicht mit all zu einfachen Antworten abspeisen zu lassen. Wer einfach mal bei Ärzten und Krankenkassen vor Ort Statements zur Abschaffung der Praxisgebühr einsammelt, ohne sich vorher mit dem Thema zu beschäftigen, der wird auch nichts anderes bekommen als ein paar Zitate, die er dann hintereinander reihen kann. Er wird nicht bei Widersprüchen oder überraschenden Aussagen erkennen, das womöglich genau da die Geschichte liegt. Und der ganze Text eigentlich anders aufgebaut sein müsste.

Ich bin gespannt, wie die Fragen beantwortet werden und wie die Umsetzung erfolgt.

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