Der Bürger als Feind
Derzeit kursiert ja eine Grafik, die einen stilisierten Kopf des Bundesinnenministers mit der Unterzeile “Stasi 2.0” zeigt. Sie war auch schon hier im Blog zu sehen. An dieser Darstellung gibt es durchaus Kritik:
»Stasi 2.0« behauptet also, dass »von oben« fiese Dinge angestoßen würden, die dem guten Eigenen gänzlich fremd seien. Man tut also so, als stieße die Entwicklung zu einem Staat, der seine Bürger so innig liebt, dass er ihnen ständig Eifersuchtsszenen macht, in keinster Weise auf Gegenliebe beim Objekt der Begierde. Nun, wie Daniel hübsch parphrasierte: der Staat macht mit seinem Volk das was es will.
Das ist natürlich richtig: Stasi 1.0 und Stasi 2.0 haben nicht viel (historische) Gemeinsamkeiten. Trotzdem finde ich den Begriff als Parole, um auf aktuelle Tendenzen des Überwachungsstaates hinzuweisen nicht völlig daneben, weil sie griffig ist. Es ist eine Werbebotschaft, die eben sofort, beim ersten Hinschauen, funktionieren muss. Und aus meiner Sicht gibt es auch eine klare Übereinstimmung: Die Tendenz, die eigenen Bürger vor allem als Bedrohung zu sehen, die man möglichst effektiv beobachten und kontrollieren muss.
Wenn ich heute lese, dass Wolfgang Schäuble jetzt auch noch G8-Gegnern mit Unterbindungsgewahrsam droht, dann finde ich das bedenklich. Vor knapp zehn Jahren, als über Unterbindungsgewahrsam gegen Hooligans diskutiert wurde und manche “Linke” solche Maßnahmen auch gegen Rechte forderten, da gab es bereits kluge Leute die mahnend sagten: Wenn das erstmals eingeführt wird, wird es gegen alles und jeden genutzt werden. Das Problem an dieser polizeilichen Maßnahme: Es reicht, wenn jemand der Meinung ist, jemand könnte gewaltbereit sein. Und Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung sind… meistens zu spät, weil dann die Maßnahme längst beendet ist, wie jetzt auch Kritiker bemerken.
Und dann will Schäuble ja auch noch den Terrorismus-Paragraph §129a erweitern. Die “Welt” schreibt:
Sogenannte Vorfeldhandlungen, die mit geplanten terroristischen Straftaten in Zusammenhang stehen, sollen durch die Einführung der beiden neuen Paragrafen 129c und 129d ins Strafgesetzbuch erfasst werden
Das klingt schon ein wenig nach “Minority Report”, wo der beschützende Staat schon von Straftaten weiß, wenn derjenige, der sie begehen könnte, noch nicht einmal weiß, was er demnächst tun will. Irgendwann werden wir so vielleicht auch bei 129g und 129h ankommen, etwa “schon mal in einer Kneipe gewesen sein, in der auch einer gewesen ist, der einen kennt, der erzählt hat, dass bei ihm im Haus mal einer gewohnt hat, der sich nicht klar von Gewalttaten distanzieren wollte”. Zynisch? Ja, aber das habe ich vor zehn Jahren auch über die Sachen gedacht, die wir damals so diskutiert haben - etwa zentrale Fingerabdruck-Karteien und eine riesige DNA-Datenbank aller Bürger. Auf dem Weg dahin sind wir, und immer mehr Einzelstücke davon sind Realität.
Man mag sich gar nicht vorstellen was in diesem Land so alles passieren wird, falls es hier tatsächlich einmal einen größeren terroristischen Anschlag geben sollte.
Oder, wie es Florian Rötzer bei “Telepolis” formuliert:
Der Verdacht liegt nach den unermüdlichen Anstrengungen der Sicherheitspolitiker nahe, auch bei nur abstrakter, also nur denkbarer Gefahrenlage, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden immer weiter auszubauen, dass der Terrorismusverdacht ebenfalls ständig erweitert wird und sich bald gegen legitime, wenn auch radikale Protestbewegungen richtet, denen man, ganz nach russischer Position in der “gelenkten Demokratie”, Gewaltausübung unterstellt, um sie verfolgen und einschüchtern zu können. Auf dieser Rutschbahn könnte man schnell wieder in einem Deutschen Herbst landen, vor allem aber politische Freiheiten und demokratischen Rechtsstaat gefährden. Die Überwachungsmittel sind schon zur Hand und werden gerade geschaffen, die einem autoritärer werdendem Staat die Werkzeuge in die Hand legt, die nicht technisch, sondern “nur” – und immer weniger – gesetzlich und damit leicht veränderbar in Fesseln gehalten werden.