====================
== Andreas Streim ==
====================
I am a digital resident and this is my ~

Ein zu früher Abgesang

10 Thesen Journalismus Onlinejournalismus Zeitung Zukunft

Christian Jakubetz hat sich Gedanken über die Zukunft der (gedruckten) Tageszeitungen gemacht und diese in “10 Thesen” gepackt. Wieder mal Thesen, könnte man sagen. Wieder mal eine Zukunftsvision in den düstersten Farben.

Was mir allerdings gefallen hat: Jakubetz hat sich nicht, wie so oft, an den Prominenten der Branche, den überregionalen Blättern, abgearbeitet, sondern er legt den Fokus auf die regionalen Zeitungen. Und er legt den Finger in die Wunde, etwa wenn er über Personalabbau spricht, der immer mit Qualitätseinbußen einhergeht, oder über Führungspersonal, das Internet immer noch dafür hält, dass man bei Google eine Webseite findet.

An manchen Stellen irrt er meines Erachtens abe auch - womöglich, damit die Generalthese vom Ende der Zeitung(en/sverlage) aufgeht. Zum Beispiel wenn er schreibt:

Tageszeitungen hätten in diesem Segment ein massives Kompetenzproblem. Niemand würde dem “Schwarzwälder Boten” oder der “Passauer Neuen Presse” ähnliche inhaltliche Kompetenz zugestehen wie dem “Spiegel” oder der “FAS”. Zudem liegt es ohnedies in der Natur der Sache, dass man Hintergründe, Analysen, Kommentare möglicherweis eher einmal pro Woche geballt lesen will als jeden Tag.

Widerspruch, euer Ehren. Wer dem “Spiegel” oder der geschätzten “FAS” für das, was im Land Brandenburg vor sich geht, mehr Kompetenz zutraut als der “Märkischen Allgemeinen”, mit dem würde ich mich gerne einmal unterhalten. Vieles, was in den überregionalen Blättern Wochen später aufgegriffen wird, ist doch - freundlich formuliert - aus vorheriger regionaler und lokaler Berichterstattung destiliert worden. Und einen Kommentar oder eine Analyse über den Bürgerhaushalt in Potsdam wird der geneigte Leser im Netz vermutlich nur aus der Berichterstattung der Lokalzeitung finden, kaum bei der “NZZ” oder der “Zeit”.

Richtig ist, dass man sich auf dieser - realen! - lokalen Stärke nicht ausruhen darf. Die Konkurrenz, die früher wegen hoher Druck- und Vertriebskosten keine Chance hatte, steht womöglich vor der Tür, wie Jakubetz feststellt:

Fragt man die Macher von Regionalzeitungen nach ihren eigentlichen Stärken, wird sofort das Lokale genannt. Was auch richtig ist, aber auch hier wiederholt sich gerade Geschichte: Sie ruhen sich auf dieser Stärke und diesem vermeintlichen Monopol aus, übersehen aber, dass auch der Lokaljournalismus sich wandeln wird. Er wird hyperlokal, er geht ins Netz.

Man muss aber dazu sagen, dass dies auch nur für Regionen gelten wird, die zumindest eine bestimmte Größe / Einwohnerzahl und wirtschaftliche Stärke haben. Denn auch diese hyperlokalen Angebote werden sich über kurz oder lang refinanzieren müssen.

Ein Aspekt wird meines Erachtens in den “10 Thesen” allerdings völlig übersehen, einen großen Vorteil von (regionalen) Tageszeitungen, den es vielleicht gilt, stärker herauszustreichen. Natürlich kann ich heute im Netz dort die beste politische Analyse zu den USA finden, hier die detaillierteste Sportberichterstattung über meinen Lieblingsverein, ein paar Klicks weiter wieder das feinsinnigste Feuilleton durcharbeiten um dann noch schnell bei der Regionalzeitung die Heimatnachrichten zu lesen. Das alles kostet aber Zeit und erfordert Recherche (wo finde ich was eigentlich?) - und genau das ist etwas, wofür Leute schon immer ihre Zeitung bezahlt haben. Nämlich dass sie aus dem viel zu umfassenden Weltgeschehen eine Vorauswahl für mich trifft.

Es mag sein, dass heute angesichts der Altersstrukturen in Redaktionen, die Jakubetz kritisiert, diese Auswahl nicht mehr dem entspricht, was (potenzielle) Leser sich wünschen. Möglich. Aber daran, dass ich gerne jemanden bezahle, der mir diese Auswahl abnimmt, ändert das nichts.

Und die Zeitungslektüre sorgt dafür, dass ich erst auf Themen stoße. Ein Korrespondentenbericht über zwei Protagonisten der “Tea Party” in den USA neben der Geschichte, dass immer mehr Jugendliche in Brandenburg zu Hause keine warme Mahlzeit bekommen als Beispiel aus der heutigen “Märkischen Allgemeinen”. Abgesehen davon, dass der zweite Text eine exklusive Geschichte ist, die ohne die Zeitung nirgendwo stünde, wäre zumindest ich nicht darauf gekommen, mir genau das heute anderswo zusammenzulesen.

Mir ist die 10. Fazit-These deshalb zu negativ:

Es gibt kein schlagendes Argument mehr für die Tageszeitung alter Prägung. Man kann sie lesen, muss man aber nicht. Sie ist zu langsam, um aktuell zu sein. Sie ist zu sehr im Platz limitiert, um umfangreich zu sein. Sie ist zu sehr generalistisch, zu wirklich in allen Bereichen kompetent zu sein. Sie wird in angestammten Märkten an vielen Rändern bedrängt, hat aber nicht die Option, selbst andere in ihren Märkten anzugreifen. Sie hat häufig über viele Jahre nur reagiert, statt zu agieren. Überleben werden die, die von ihren Lesern aus Überzeugung und Begeisterung gekauft werden. Das ist eine Minderzahl. Verabschieden werden wir uns von denen müssen, die Journalismus nur verwalten – statt ihn zu machen.

Die Zeitung als Dienstleister der Nachrichtensammlung, Gewichtung, Verarbeitung und Aufbereitung hat aus meiner Sicht gerade im Lokalen/Regionalen eine Zukunft. Allerdings ist richtig, dass man nicht einfach so weitermachen kann wie bisher - und gleichzeitig die bisherigen Leser, die womöglich jenseits der 60 nicht stundenlang im Internet surfen, nicht alleine lassen darf. Sicher ist dabei, dass die Zukunft digital ist und im Netz liegt. Und dass zu wenig Führungspersonal und Redaktionsverantwortliche selbst dort Erfahrungen sammeln, sondern eher beim Thema “alle Medienkanäle bedienen” im Jahr 2010 noch von “SMS-Nachrichten” sprechen.

Ein Politik- oder Wirtschaftsredakteur der erklärt, er schaue grundsätzlich kein Fernsehen und höre Radio nur dann, wenn es sich nicht verhindern lässt, würde wohl kopfschütteln ernten. Wer erklärt, noch nie auf Facebook gewesen zu sein, Twitter ohne eigene Anschauung zu irrelevantem Geplapper erklärt und glaubt, dass auf Youtube ja eh nur pubertierende ihre Alkoholexzesse dokumentieren, der darf sich auf wohlwollendes Kopfnicken einstellen. Und wenn man dann noch zwei kluge Sätze über “Second Life” und “diese Apps von Apple” fallen lässt, die man bei der letzten Medienkonferenz von einem Keynote-Sprecher aufgeschnappt hat, der gilt vermutlich sogar als ausgewiesener Experte dieser “neuen Medien”.

Previous Post Next Post