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== Andreas Streim ==
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I am a digital resident and this is my ~

Unter Journalisten

Gestern war ich den ganzen Tag über in Köln auf dem 2. Tag des Wirtschaftsjournalismus. Nachdem es im vergangenen Jahr um das Spannungsfeld zwischen Print und Online ging (ich habe da ja auch ein bisschen was dazu geschrieben), stand in diesem Jahr “Eine Frage der Qualität: Welcher Wirtschaftsjournalismus hat Zukunft?” im Mittelpunkt.

Tag des Wirtschaftsjournalismus

Da meine inhaltlichen Mitschriften auf der Website der Kölner Journalistenschule nachzulesen sind, werde ich in diesem Jahr hier jetzt nicht im Detail die Inhalte der Vorträge und Podiumsdiskussionen wiedergeben. Insgesamt fand ich es einen interessanten Tag - einfach weil man sich mal die Zeit nimmt, über den eigenen Beruf(sstand) zu reflektieren und immer den ein oder anderen guten Gedanken mit nach Hause nimmt. Aber hin und wieder kommt man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus.

Der Vormittag stand mit zwei Vorträgen, die sich vor allem um den Einfluss des Internet auf die Medienlandschaft beschäftigten, aber in einem ähnlichen Licht wie im vergangenen Jahr. Und, nun ja, der Beitrag von Thalekkara Arun über Wirtschaftsjournalismus in Indien brachte zwar so richtig internationales Flair in die Veranstaltung, aber irgendwie war er doch ziemlich losgelöst vom übrigen Veranstaltungsprogramm und der anschließenden Podiumsrunde über den Vormittag.

Für mich als Journalisten und Redakteur ging es an diesem Vormittag etwas zu stark um die Frage der (Re)Finanzierung von Journalismus in Zeiten des Internet. Das ist sicher eine wichtige Frage - aber in der arbeitsteiligen Gesellschaft irgendwie auch eher für die Verlagsmanager. Mich hätte manchmal mehr interessiert, was wir als Schreibende denn besser, anders, neuer machen könnten.

Wirklich interessant fand ich die Überlegung von Klaus Schweinsberg, Chefredakteur von “Capital”, der die bisherigen Karrierewege in Frage stellte. Heute würden junge Journalisten „im Keller in der Online-Redaktion“ anfangen, so seine Bestandsaufnahme, und sich dann langsam ins Haupthaus hocharbeiten. Vielleicht sollten junge Journalisten erst einmal viele Jahre im Printbereich arbeiten, um dann in die Online-Redaktion zu wechseln – „weil man dort viel schneller reagieren muss“ und deshalb Routine und Wissen sehr wichtig seien, so Schweinsberg. Und am Ende ihrer Laufbahn könnten die Kollegen vielleicht im Call-Center sitzen und so den direkten Draht zum Leser haben.

Auch der Nachmittag startete mit dem Internet-Print-Thema und der klaren Botschaft von Medienberater Ewald Wessling, dass die Zeiten des Gedruckten vorbei seien und das Internet die Welt beherrschen die Zukunft sein wird. Interessanter Gedanke aus der Diskussion: Es ist falsch, das Internet als Medium anzusehen, so wie TV, Radio oder Print; vielmehr sei es eher mit der Elektrizität zu vergleichen, also ein Übertragungsweg, auf dem sich dann wieder die Medien - Bilder, stehene und bewegte, Audio, Texte etc. - abspielen. Einen Aufruf aus dieser Runde sollte man sich als Journalist eigentlich über den Schreibtisch hängen - nicht das berühmte “an den Leser denken”, das in der Praxis oft eine Worthülse ist -, nämlich den Satz: “Machen Sie es dem Leser bequemer!”

Und dass Zeitungen ihr Wissen in strukturierte Datenbanken packen und es dem Leser ganz Web 2.0 anbieten sollten, das klingt zwar abstrakt, ist aber ebenfalls eine prima Idee (wobei ich mir das in der Praxis im eigenen Haus nicht wirklich vorstellen kann).

Ganz praxisnah waren dann die Beiträge zur Frage, “Welchen Wirtschaftsjournalismus brauchen wir (nicht)?” Die Kollegen haben dabei wirklich hübsche Anregungen zur Unternehmensberichterstattung, zur Börsenberichterstattung und vor allem zum Verbraucherjournalismus geliefert. Selbstversuche und dazugehörige Nachrecherche als Chance für Qualitätsjournalismus, um sich von den viel individuelleren und schnelleren Test- und Preisvergleichsseiten im Internet abzusetzen, finde ich einen richtigen Fingerzeig. Warum aber Ex-Minister Werner Müller per Videobotschaft die Wirtschaftsjournalisten zur systemstabilisierenden Schreibe auffordern und vor dem Sozialismus warnen durfte, das erklärt sich wohl nur durch seinen heutigen Job bei Evonik, das eben auch Sponsor der Veranstaltung war. Hanebüchener Unsinn der belegt, dass auch vermeintlich kluge Prominente ziemlichen Schwachfug reden können, wenn man sie lässt.

Das Highlight des Tages war aber bereits zuvor der Appell von Garbiele Fischer, Chefredakteurin von “brand eins”, unterhaltsamen Wirtschaftsjournalismus zu machen - und zwar indem man sich Neugier behält, nicht das Gegenüber in den Unternehmen mit Fachwissen beeindrucken will und mutig genug ist, auch vermeintlich dumme und naive Fragen zu stellen. Danke für die besten 15 Minuten des Tages - die passend zum Thema auch die unterhaltsamsten waren! Vielleicht sollten die Veranstalter beim nächsten Mal überhaupt mehr Frauen einladen, vielleicht ist es einfach so, dass die ewig gleichen Chefredakteure oft das ewig gleiche wenig praxisnahe daherreden.

Denn die Abschlussrunde

Tag des Wirtschaftsjournalismus

war dann auch das absolute “Lowlight” des Tages. Ich fühlte mich plötzlich in einen verstaubten Presseclub versetzt, wo mittelalte Männer, die sich selbst für unglaublich wichtig halten, darüber philosophierten, ob in Deutschland der Sozialismus droht. Da wird dann abgemeiert, dass in Deutschland zu viel Hartz-IV-Betroffenheitslyrik abgesondert werde, von einem Chefredakteur der “Wirtschaftswoche”, der ganz offensichtlich so meilenweit vom echten Leben und dem von ihm sarkastisch abgemeierten 400-Euro-Ost-Rentner ist, dass es kracht. Mag sein, dass er damit nah am “Wirtschaftswoche”-Leser ist (dann hätte es noch einen Sinn), was ich aber nicht glaube (ich lese die “Wirtschaftswoche” nämlich auch). Für mich sind solche Reden einfach nur ein Ärgernis.

Grotesk war die Runde aber auch deshalb, weil den ganzen Tag über die Referenten appellierten, stärker an den Leser, den Nutzer zu denken, der sich künftig dahin bewegt, wohin er will, um seine Nachrichten abzuholen - und dann wird zum Schluss darüber philosophiert, dass “wir Journalisten” den Menschen die Schröderschen Sozialreformen “nicht gut genug erklärt” hätten, so dass nun fälschlicherweise das Gefühl in der Bevölkerung aufkomme, man profitiere doch gar nicht vom Aufschwung. Da ist es wieder, das alte Bild vom Journalisten als Welterklärer, der am besten (oder gar: als einziger) weiß, was wirklich wahr ist, und der das dem Leser in gedrechselten Worten beibringen will.

Ein bisschen bin ich schon erschrocken, dass niemand auf dem Podium auch nur in die Nähe der Idee kam zu fragen, ob nicht möglicherweise die Welt, die Realität von Chefredakteuren und Wirtschaftsjournalisten ein gänzlich andere ist als die der Mehrzahl der Menschen in diesem Land. Und ob nicht möglicherweise “die Leute” mit ihrem unguten Gefühl richtig liegen und sich die Journalisten-Elite irrt. Nur mal so als Gedanke… auf jeden Fall ein erhellendes Praxisbeispiel, warum sich etablierte Verlage und Journalisten mit dem Web, mit direkter Nutzer-Kommunikation und Blogs, so schwer tun. Irgendwie, so konnte man aus der Runde mitnehmen, hält man seine Kundschaft ja doch für ganz schön dämlich.

Auch wenn das jetzt ziemlich kritisch klang: Die Veranstaltung war gut, vielleicht nicht sehr gut, aber gut. Es gab kluge Gedanken (wie gesagt, nachzulesen auf der Veranstalter-Website), es gab gute Gespräche am Rande und in den Pausen. Ich würde mich auf den 3. Tag des Wirtschaftsjournalismus 2009 freuen. Aber ich würde mir wünschen, dass dann Wirtschaftsjournalismus nicht erst bei “Frankfurter Rundschau” und “Süddeutscher” aufwärts anfängt und sich eigentlich nur bei “Capital” und “Wirtschaftswoche” abspielt, sondern dass die Macher mal reflektieren, dass es in den vielen, vielen Regionalzeitungen viele, viele Wirtschaftsjournalisten gibt. Dass diese möglicherweise jeden Tag sogar mehr Leser mit ihren Wirtschaftsgeschichten erreichen als die überregionalen Qualitätszeitungen. Und dass diese nochmal ganz andere Probleme und Fragen haben - und eine Debatte über den Berufsstand, auch und gerade vor und mit Journalistenschülern, bereichern könnten.

_Update: Direkter Link zu den einzelnen Tagungsreferaten:

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