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== Andreas Streim ==
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Am Ende bleiben nur Miese

Martina Herrmann ist Ärztin, aber leben kann sie von ihrem Beruf nicht

ANDREAS STREIM

POTSDAM – Die bunten Illustrierten mussten weichen. Auf dem niedrigen Tisch im Wartezimmer der Praxis von Martina Herrmann in der Potsdamer Waldstadt liegen nun fein säuberlich gestapelte Kopien von MAZ-Artikeln. „Die ersten Ärzte geben auf“, ist da zu lesen und „Ärzte in Forst machen Praxis zu“. Die Fachärztin für Innere Medizin will ihre Patienten informieren, was los ist im Gesundheitssystem – zumindest die, die noch kommen dürfen. Derzeit behandele sie nur „akute Fälle“, erklärt Martina Herrmann, weil sie angesichts der Honorarsituation ihre Praxis nicht mehr halten könne. „Ich bin pleite“, sagt die 49-Jährige knapp.

Jammern auf hohem Niveau, sagen Politiker gerne zu solchen Äußerungen. Martina Herrmann hat sich deshalb vom Steuerberater ihre finanzielle Lage aufschlüsseln lassen. Von April bis Juni hat sie 35 800 Euro Honorar für ihre ärztlichen Leistungen zugesprochen bekommen. Davon kassierte die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die das Geld der Krankenkassen verteilt, 3,5 Prozent Gebühren. Den 34 500 Euro Einnahmen im Quartal stehen 35 400 Euro fixe Ausgaben gegenüber, etwa für Steuern, die zwei angestellten Schwestern mit je 30 Wochenstunden, Miete, Labor- und Praxiskosten, Kfz-Leasing, Krankenkasse und eine Rechtschutzversicherung. „Das heißt, ich muss knapp 1000 Euro mitbringen, damit ich hier überhaupt arbeiten darf“, sagt Martina Herrmann. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie sich am 1. April 1991 in der Waldstadt niederließ.

Dispo-Kredit bereits ausgeschöpft

Obwohl sie fast jeden Tag von 7.30 bis 18 Uhr in der Praxis oder bei Hausbesuchen 70 bis 100 Kranke behandelt, bleiben am Ende nur Schulden. Leben kann sie derzeit nur, weil sie jeden Monat ihren Dispo-Kredit weiter ausschöpft und weil ihr Mann einen festen Job hat.

Wer verstehen will, wie das trotz Studium, Facharztausbildung, Doktortitel und 50- bis 60-Stunden-Woche möglich ist, muss tief eintauchen in das System der Ärzte-Honorierung in Deutschland (s. Kasten). Doch das Ergebnis unterm Strich ist eindeutig: Martina Herrmann bekommt derzeit nur rund die Hälfte ihrer Leistungen bezahlt, weil sie die gesetzten Obergrenzen pro Patient überschreitet.

Manche Ärzte haben dafür Lösungen entwickelt. Diese Mediziner behandeln einen Kranken nur so lange, wie sie dafür sicher Geld erhalten, erzählt Martina Herrmann. Wird danach zum Beispiel noch ein Belastungs-EKG fällig, wird der Kranke zum Spezialisten überwiesen – der für den „neuen“ Patienten wieder volles Honorar erhält. Die eigenen Geräte werden dann für Patienten genutzt, die Kollegen vorbeischicken. „Weil ich da nicht mitmache, werde ich schon für doof gehalten.“ Doch für solche Tricks, sagt Martina Herrmann, habe sie nicht Medizin studiert: „Ich kenne meine Patienten seit 15 Jahren und weiß, wie ich sie am besten behandle. Ich habe einen Eid abgelegt, um meinen Patienten zu helfen.“ Die Kassenärztliche Vereinigung gibt der Unterfinanzierung des Gesundheitssystems die Schuld. Die Krankenkassen würden zu wenig Geld zahlen. Doch diese Begründung alleine lässt Martina Herrmann nicht gelten.

Krankenkassen machen wütend

Vor einem Jahr bekam sie schließlich noch 2000 bis 2500 Euro pro Monat mehr heraus. „Sozusagen meinen eigenen Lohn“, sagt sie. So stark sind die Zahlungen der Kassen aber gar nicht eingebrochen. Allerdings haben inzwischen die Ärzte-Lobbyisten das Verteilungssystem geändert – zum Nachteil von Praxen wie der von Martina Herrmann.

Wütend wird sie, wenn es um die Lösungsvorschläge geht, die Krankenkassen und die Brandenburger Gesundheitsministerin machen. Eine stärkere Beteiligung an Chronikerprogrammen fordern die, weil dadurch mehr Geld aus dem bundesweiten Finanzausgleich der Kassen ins Land käme. „Diese Programme bedeuten nur mehr Bürokratie“, sagt dagegen die Ärztin. Ordentlich behandelt würden ihre Patienten längst. „Seit 15 Jahren wurde keiner meiner Diabetes-Patienten ein Fall für die teure Dialyse“, betont sie.

Martina Herrmann sieht nur einen Ausweg. Statt in Punkten solle sofort in Euro bezahlt werden. „Und die Kassen müssen mehr Geld bereitstellen, aber für die wirklich kranken Patienten“, verlangt sie: „Das muss doch einleuchten.“

Kasten: Punkte statt Euro

Wer zum Arzt geht, dessen Krankenkasse bezahlt nicht einfach die Behandlungskosten. „Wenn der Patient aus dem Sprechzimmer raus ist, muss ich alles, was ich gemacht habe, in den Computer eingeben“, erläutert die Potsdamer Ärztin Martina Herrmann das komplizierte Abrechnungssystem. Jede Tätigkeit wird mit einer fünfstelligen Ziffer verschlüsselt: Hat sie den Kranken nur beraten oder auch Blut abgenommen? Für alles gibt es einen Zahlencode. Und jede Zahl hat einen in Punkten ausgedrückten Wert. Für jedes Quartal erhält sie dann nach etwa sechs Monaten Geld von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), abhängig von der Punktzahl.

Doch die KV kann nur verteilen, was von den Krankenkassen überwiesen wurde. Die bezahlen allerdings nur eine vereinbarte so genannte Kopfpauschale, das heißt einen fixen Euro-Betrag, der unabhängig davon ist, ob der Betreffende überhaupt zum Arzt gegangen ist oder vielleicht sogar mehrfach Hilfe benötigt hat.. „Die KV steht vor dem Problem, 100 Äpfel – von denen sie sich 20 für die eigene Verwaltung zur Seite legt – so auf 200 Ärzte zu verteilen, dass jeder wenigstens einen Apfel kriegt“, sagt Martina Herrmann. Eine unlösbare Aufgabe. Die Folge: Die Ärzte bekommen nicht für alle Punkte wirklich Euro ausbezahlt.

Martina Herrmann behandelt in ihrer Praxis viele Patienten, die an mehreren Krankheiten leiden, etwa an Diabetes, Bluthochdruck und Stoffwechselkrankheiten. Doch solche Patienten sind teuer, sie brauchen viele Behandlungen. Pro Person kommen so leicht 1200 bis 1500 Punkte im Quartal zusammen. Viele Kollegen kommen nur auf 900 Punkte.

Für die KV ist beides mehr, als sie bezahlen kann. Deshalb wird die maximale Punktzahl pro Patient begrenzt. Was darüber hinaus geht, wird nicht bezahlt – egal ob es zehn, 50 oder 600 Punkte sind. ast

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung vom 12.11.2005

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